Warum siezen sich Ihre Zauberer, Herr Jung?

Interview mit Gerald Jung

Reiz-Thema Neuübersetzung: Der neue Terry Pratchett

Die beliebten Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett bekommen eine neue deutsche Übersetzung und ein neues Gewand: Um den philosophischen Aspekt der außergewöhnlichen Fantasy-Romane stärker hervorzuheben (1), aber auch, um sie aus der Fantasy-Ecke herauszuholen und einer breiteren Leserschaft abseits des fantastischen Genres schmackhaft zu machen (2), wie der Verlag zum Jahreswechsel verlauten ließ. Die Empörung war natürlich groß, genauso wie Übersetzer Gerald Jung schon im Vorfeld einiges an Gegenwind zu spüren bekommen hat, als »Der Club der unsichtbaren Gelehrten« im Spätsommer 2010 erschien – das erste Prosa-Werk von Pterry, das Jung übersetze, ehe er und Regina Rawlinson sich nun auch an die Übersetzung von bereits einmal durch Andreas Brandhorst kongenial eingedeutschen Pratchetts machen (begonnen mit »Voll im Bilde« und »Alles Sense!«, weitere Neuübersetzungen folgen im Halbjahresrhythmus). Außerdem verändert sich bei den Pratchett-Neuauflagen ebenso wie bei allen künftigen Scheibenwelt-Erstveröffentlichung die Aufmachung: Es gibt keine Hardcover mehr, und die Gestaltung der großformatigen Paperbacks mit Klappenbroschur – dem Format der Zukunft, wie der Verlag sagt – folgt eher dem Design der amerikanischen Ausgaben. Was im Übrigen niemanden mehr erstaunte als den großartigen britischen Scheibenwelt-Illustrator und Cover-Künstler Paul Kidby, der sich schon gewundert hat, wieso er keine Anfragen mehr aus good old Germany bekommen hat (3). Die deutsche Pratchett-Neu-Edition wird also ohne Frage kritisch beäugt, auch wenn sie eigentlich gute Absichten verfolgt – nämlich noch mehr Leser für den fabelhaften Pterry und seine ebenso weisen wie witzigen Romane von der Scheibenwelt zu finden (falls das überhaupt geht – Pratchett ist schließlich einer der erfolgreichsten britischen Gegenwartsautoren, mit weltweit um die 60 Millionen verkauften Büchern und im Deutschen immerhin über 4,5 Millionen). Christian Endres sprach angesichts der neuen Ausrichtung für Pratchett in Deutschland mit Übersetzer Gerald Jung über Tücken und Chancen solch eines Unterfangens, seine Arbeit als Übersetzer im Allgemeinen und natürlich die Schwierigkeiten und Freuden mit den Werken von Sir Terry im Besonderen.

 

(1) »Pratchetts Romane greifen immer auch gesellschaftliche Themen auf und haben eine erwachsene, bisweilen geradezu philosophische Ebene. Diese wurde bislang zu wenig sichtbar, weil des Augenmerk der früheren Übersetzungen anderswo lag. Das wird sich nun ändern« Manhattan-Verleger Georg Reuchlein im Interview mit BuchMarkt (12/2010).

(2) » Nichts gegen Fantasy, aber Pratchett wird unter Wert verkauft. Er ist viel mehr als ein Genreautor, weil er so wunderbar bissig-witzig und intelligent erzählen kann. Seine Romane spielen zwar in einer magischen Welt, doch die entpuppt sich schnell als Spiegelbild unserer Gesellschaft.« Lektorin Vera Thielenhaus im Gespräch mit buchreport.magazin (1/2011)

(3) »It is strange that you emailed me about the German Discworld covers now, Christian, because just the other day I was talking to my wife and we were wondering why Germany never requests to use my artwork for the covers of the Discworld novels.«

Hallo Herr Jung. Erzählen Sie uns ein bisschen etwas über Ihren Werdegang und wieso Sie heute hauptberuflich ausgerechnet vornehmlich fantastische Stoffe übersetzen?

GJ: Wie viele Übersetzer bin ich eher zufällig zum Übersetzen gekommen, und zwar durch die Aufforderung eines Lektors, es doch besser zu machen (nachdem ich wegen einer grässlichen Krimiübersetzung rumgemeckert hatte). Natürlich waren durch das Studium Germanistik/Anglistik/Amerikanistik ein paar Voraussetzungen gegeben, außerdem muss man Leser sein, ein Gespür für und Spaß an Sprache haben und dergleichen. Und in der Praxis stellt sich dann heraus, ob man die Kombination x Seiten in x Tagen (bzw. Monaten) auch auf die Reihe kriegt – und das bei einigermaßen bzw. möglichst guter Qualität und nicht allzu guter Bezahlung.

Was die fantastischen Stoffe angeht: auch Zufall. Meine ersten richtigen Jobs waren die »Keine Panik«- Biografie von Douglas Adams und dann ein Haufen SF- und Fantasy-Schmöker für den Goldmann Verlag. Ich bin aber kein ausgemachter Fantasy-Fan und schon gar nicht Experte, was der Sache aber, finde ich, keinen Abbruch tut. Auch beim Übersetzen brauche ich Abwechslung, hab mich nach langem Ringen damals aus der SF/Fantasy-Schublade befreit und alles Mögliche übersetzt: Krimis, Thriller, historische Romane, gehobene Unterhaltungsliteratur eben. Als ich mit einer Kollegin zusammen mal ein Kinder- oder Jugendbuch machen wollte, hatten wir das Glück, ziemlich schnell an den »Bartimäus« zu kommen, und der hat uns sowohl im Bereich Jugendbuch und dann, sozusagen im Salto Rückwärts, auch wieder im Bereich Fantasy etliche Türen aufgestoßen.

Können Sie Ihr Vorgehen bei einer neuen Übersetzung schildern? Es wird mit der Lektüre des Originalromans losgehen, oder?

GJ: Oft lese ich das Original erst mal durch – aber nicht immer. Da die Übersetzung sowieso mehrere Durchgänge braucht, spielt das bei den meisten Büchern keine große Rolle. Der große Bogen (so es einen gibt) lässt sich auch hinterher an den entsprechenden Stellen verstärken, und wenn ich das Buch noch nicht gelesen habe, bleibt von Tag zu Tag auch beim Übersetzen am einsamen Schreibtisch ein bisschen Lesespannung enthalten – wie geht's denn jetzt weiter? Nach der Rohübersetzung bleiben immer noch viele Begriffe und Sachverhalte zu recherchieren, von der stilistischen Überarbeitung ganz zu schweigen. Eine Übersetzung erfährt bei mir drei bis vier Durchgänge, bevor ich sie an den Verlag abschicke.

Romane werden immer dicker – und sollen auch in Übersetzung möglichst zeitnah zum Original erscheinen. Wie groß ist heute ein Zeitfenster für die Übertragung eines Romans, und wie hat sich das im Laufe der Jahre verändert?

GJ: Das lässt sich generell nicht so sagen. Auch bei zeitnahem Erscheinen zum Original kann man als Übersetzer bei einer gewissen Qualität (die ja meist auch vom Verlag erwartet wird), nur soundsoviel Seiten pro Tag / pro Woche / pro Monat schaffen. Man bespricht also vorher genau: schaffe ich die 380 Seiten in den drei oder vier Monaten oder nicht? Wenn es ganz eng wird, arbeiten dann eben auch zwei oder drei Übersetzer an einem Buch, von daher hat sich schon ein bisschen was verändert. Manchmal lässt man sich auch auf zwei Monate durchpowern ein, normalerweise eher nicht – ist einfach nicht gesund.

Spüren Sie einen gewissen Druck, der durch die leichte Verfügbarkeit der englischsprachigen Werke und die Aufgeschlossenheit der Leser gegenüber Lektüre im Original kommt?

GJ: Eigentlich nicht. Wer das Original lesen kann, liest nicht unbedingt auch noch die Übersetzung. Das mache ich genau so, was englischsprachige Bücher angeht. Bei allen anderen Sprachen muss ich mich, ebenso wie jeder andere Leser, auf die Übersetzungen der Kollegen verlassen. Es kommt natürlich immer vor, dass jeder, der ein bisschen oder ein bisschen besser Englisch (oder was auch sonst) kann, sofort behaupten muss: im Original ist das alles viiiel besser!

Nun sind sie einer der beiden neuen Pratchett-Übersetzer. Sind Sie schon immer ein Fan von Pterry gewesen?

GJ: Nein. Ich bin ziemlich spät auf Pratchett gestoßen, hab das immer für endlose Fantasy-Parodien für Fantasy-Nerds gehalten, so eine Art »Herr der Ringe für Fußgänger«. Boy was I wrong! Umso schöner dann die Überraschung, wie witzig, intelligent, weltklug und vielfältig seine Bücher letztendlich sind.

2007 übersetzten Sie mit dem Buch zum »Schweinsgalopp«-Film Ihren ersten Pratchett, zwei weitere Sachbücher zur Scheibenwelt folgten. Haben Sie da schon darauf gehofft, auch irgendwann die Fiction-Titel zu übernehmen – oder gar die Neuübersetzung der älteren Bände?

GJ: Die Übersetzungen zu diesen Büchern wurden mir angeboten, weil Andreas Brandhorst sich damals aus der Übersetzerei zurückgezogen hat – und weil ich in den Sparten Fantasy/Humor/intelligente Unterhaltung schon etliche Sachen bei der Penguin Random House Verlagsgruppe (zu dem auch Goldmann und Manhattan gehören) aufzuweisen hatte. Das hat mit dem Filmbuch auch gut hingehauen und der Verlag hat mich dann wohl noch ein bisschen weiter getestet. An einen ›richtigen‹ Pratchett hab ich damals natürlich auch gedacht, aber die hat damals ja noch Herr Brandhorst gemacht; dass er ganz damit aufhören wollte, wusste ich nicht. Und an Neuübersetzungen älterer Bände war da überhaupt noch nicht zu denken.

Hand aufs Herz: Was dachten Sie, als der Verlag sagte, dass eine Neuübersetzung angedacht sei?

GJ: Ich dachte: Ist das wirklich nötig? Und: Wieso tut der Verlag sich die Mehrausgabe an? Obwohl mich an den Übersetzungen von Andreas Brandhorst das eine oder andere gestört hat (was man aber von fast jeder Übersetzung sagen kann, das liegt einfach in der Natur der Sache), fand ich die ja keinesfalls schlecht, oft sogar sehr gelungen. Außerdem erfahren normalerweise nur gut abgehangene Klassiker eine Neuübersetzung, ein paar Beispiele aus den letzten Jahren: Melvilles »Moby Dick«, Salingers »Fänger im Roggen« und im vergangenen Jahr Kerouacs »Unterwegs«. Aber ein – wenn auch erfolgreicher – Fantasy-Autor? Aber im Gegensatz zu den Originalen altern Übersetzungen halt viel stärker. Pratchetts erste Scheibenweltromane sind nun auch fast dreißig Jahre alt – wenn ihm der Verlag nun die Ehre antun möchte, sollten wir uns alle darüber freuen. Außerdem finde ich, dass in den Originalen noch so manches drinsteckt, was man bei einer Neuübersetzung herausholen kann.

Kaum ließ der Verlag verlauten, dass man mit der neuen Übersetzung und Aufmachung Sir Terrys Scheibenwelt-Werke aus der Fantasy-Genre-Ecke rausholen möchte, wurde diese Formulierung von vielen als Angriff auf die Fantasy und undankbare Herabsetzung des umsatzstarken Genres gesehen...

GJ: Ganz im Gegenteil. Terry Pratchetts Romane sind doch ein hervorragendes Aushängeschild dafür, was Fantasy alles kann. Obendrein verkaufen sie sich weltweit, auch in Deutschland, sehr gut. Aber sie sind eben sehr viel mehr als ›nur‹ Fantasy, wenn man darunter eben Trolle-Zwerge-Zauberschwerter-Drachen-Feen-&-muskelbepackte-Krieger-kloppen-sich-durch-die-Welt versteht. Der Verlag hat den Eindruck, dass der Meister – im Gegensatz zu anderen Ländern – in Deutschland zu sehr in der Fantasy-Schublade feststeckt und viele andere potentielle Leser deshalb erst gar nicht in den Genuss seiner Werke kommen: ich bin selbst das beste Beispiel dafür. Ich kann zwar verstehen, wenn die Fans und die Fantasy-Leser ›ihren‹ Pratchett gerne für sich behalten möchten, aber ... hey, gönnt dem Meister doch die größere Bühne!

Es wurde hier und da spekuliert, dass die Neuübersetzung eine rein rechtliche Sache sein könnte, sprich, dass die Übersetzungsrechte ausliefen. Ist da was dran?

GJ: Nein, das ist falsch. Der Verlag besitzt nach wie vor die Rechte an den alten Übersetzungen. Hinter dem Neuauftritt steckt – mal abgesehen davon, dass der Verlag natürlich damit Geld verdienen will, was ja nicht anrüchig ist – tatsächlich der Wunsch, Pratchett einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Dass man sich da als altgedienter Fan ein bisschen beleidigt fühlt, kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, nicht jedoch die vielen blindwütigen Rundum- und Tiefschläge, die bar jeden Sachwissens im Netz gegen Verlag, Lektorat und auch gegen uns neue Übersetzer ausgeteilt werden.

Wie arbeitet man sich in eine so umfassende Materie von 30 Bänden ein? Wie wichtig war es Ihnen vielleicht, sich von Brandhorst zu lösen, und wie bewerkstelligt man das?

GJ: Nachdem es bei Penguin Random House mit dem »Schweinsgalopp«-Filmbuch losging, habe ich natürlich mehr Pratchett gelesen, aber immer noch nicht alles (ich habe auch noch ein anderes, nein: mehrere andere Leben ...) Das passiert erst so nach und nach. Ich weiß, wie Pratchett im Original klingt, und ich weiß, wie ABs Übersetzungen klingen. Dass ich mich bei meinen Übersetzungen von meinem Vorgänger löse, liegt auf der Hand – sonst könnte sich der Verlag die ganze Übung mit den Neuübersetzungen ja sparen. Das mache ich aber nicht bewusst in dem Sinne, dass ich krampfhaft etwas anderes als bei AB hinschreibe. Ich übersetze einen Pratchett – egal ob es sich um einen neuen Roman wie die »Unsichtbaren Gelehrten« oder um eine Neuübersetzung wie »Voll im Bilde« handelt – so, wie ich jedes andere Buch auch übersetzen würde: so nah wie möglich am Original und dort, wo es nötig ist, bringe ich meine eigene Stimme mit ein, aber das geht auch gar nicht anders. Bei »Voll im Bilde« habe ich erst beim letzten Durchgang in ABs Übersetzung geschaut, etliche Stellen verglichen und sogar die eine oder andere geniale Wendung von ihm übernommen, ich hoffe, er verzeiht mir das.

Kann man sagen, wie lange ein Pratchett pauschal in der Übersetzung braucht?

GJ: So über den Daumen brauche ich für 400 Seiten Pratchett ungefähr 3 Monate, lieber etwas mehr. Seine Texte lesen sich meistens sehr flott und flüssig, sind aber überall mit Finessen und Anspielungen gespickt, von den oft unübersetzbaren Wortspielen (an denen man trotzdem ewig lange herumkniffelt, bis man zu der Erkenntnis kommt, dass sich das Ding nicht retten lässt) ganz zu schweigen.

Es ist nicht leicht, ein so schweres Erbe anzutreten. Das hat auch schon Bernhard Kempen zu spüren bekommen, als er »Schöne Scheine« übersetzte. Auch bei Ihrer Übersetzung nun ging der eine oder andere Pratchett-Fan ab wie ein Troll auf Eisenoxid. Wie geht man mit so viel Gegenwind um – besonders, wenn man zu der Zeit gerade die erste Neuübersetzung eines älteren Pratchetts in Arbeit hat? Schottet man sich da ab? Oder nehmen Sie's einfach nur sportlich?

GJ: Zum Glück bin ich schon seit einigen Jährchen im Geschäft und weiß, was meine Arbeit taugt. Trotzdem war mir klar, dass es sich hier um besonders sensibles Terrain handelt. Und trotzdem hat es mich, das gebe ich gerne zu, erstmal tüchtig runtergezogen, als ich die Übersetzerdresche z. B. bei amazon gelesen habe. Dann schaut man genauer hin und sieht, wer da was bekrittelt ... und schon relativiert sich sehr Vieles. Ich habe mich schon vorher bei den Fans auf Ankh-Morpork.de eingeklinkt und mich dort auch zu Wort gemeldet. In diesen Kreisen wird ebenfalls nicht mit Kritik gespart, aber dort wird sachlicher argumentiert, Argumente wie ›einfach nur unterirdisch mies‹ findet man da seltener. Ansonsten: ja, ein bisschen Abschottung, und auch ein bisschen Sportgeist - zusammen mit dem Lektorat im Verlag weiß ich momentan wohl am besten, was meine (Neu-)Übersetzungen und die meiner Kollegin Regina Rawlinson auch im Vergleich taugen.

Worauf legen Sie bei der Neuübersetzung den größten Wert?

GJ: Das habe ich teilweise oben schon angesprochen: Ich bin einfach näher am Original dran, und im Original steckt oftmals mehr, als es die früheren Übersetzungen vermuten lassen – sowohl sprachlich als auch was die vielen Anspielungen etc. angeht. Dabei ist es den brandhorstschen Übersetzungen vielleicht zu verdanken, dass Pratchett in deutscher Sprache so viel Erfolg beschieden wurde, aber sie sind doch teilweise sehr vereinfachend und auf die (vermeintlichen?) Bedürfnisse der (Achtung, Ironie! auch sprachlich weniger anspruchsvollen?) Fantasy-Leser zugeschnitten. Darauf nehme ich jetzt gar keine Rücksicht mehr und übersetze einen Pratchett mit der gleichen Ehrfurcht und der gleichen Akribie und dem gleichen Herzblut wie jedes andere Werk auch.

Was ist beim Übersetzen von Pratchett die größte Schwierigkeit?

GJ: Für mich als Nachrücker gewiss das Eintauchen in ein Universum, in dem man sich erst einmal zurechtfinden muss. Aber da gibt es zum Glück Hilfsmittel (Namens- und Begriffsdateien, das DiscWiki etc.). Sprachlich gesehen ist es, mal ganz abgesehen von den Wortspielen (die gibt es bei anderen Autoren auch, wenn auch nicht so geballt), Pratchetts genaues Ohr für Sprache und sein Gebrauch vieler verschiedener Sprachebenen. Bei ihm reden, wie es eigentlich auch sein soll, unterschiedliche Leute unterschiedlich – was im britischen Alltag noch eine viel größere Rolle spielt als bei uns. Das muss man erst mal heraushören und -schmecken und dann versuchen, es einigermaßen adäquat im Deutschen klingen zu lassen. Das wird mir teilweise bei der Übersetzung der »Unsichtbaren Gelehrten« vorgeworfen: Pratchett habe noch nie so ›vulgär‹ geklungen wie bei mir. Dazu nur: ein ›turd‹ ist nun mal ein ›Scheißhaufen‹, und obwohl ich nur den ›Kackhaufen‹ gewählt habe, fanden das einige Fans wohl zu dreist.

Eine weitere Schwierigkeit steckt in den vielen Anspielungen, die TP oft ganz nebenbei fallen lässt: Geschichtliches, Philosophisches, Filme, Bücher, überhaupt viel Populärkultur. Da kann einem als Einzelnem auch schon mal was durch die Lappen gehen. Bei Sir Terry muss man einen besonderen siebten Sinn für derlei entwickeln.

Worin unterscheidet sich das Übersetzen eines Terry Pratchetts von der Übertragung eines Jonathan Stroud?

GJ: Streng genommen überhaupt nicht. Zum einen übersetzt man jedes Buch zunächst mal mit dem gleichen Respekt für das Original. Die beiden oben genannten sind beide sprachlich sehr versierte Autoren, die ihren umfangreichen Wortschatz und ihre Sprachregister hervorragend beherrschen. Dazu kommt bei beiden der Humor, ob nun britisch oder nicht. Bei TP kommt eben immer noch einiges hinzu, siehe die Antwort davor. Aber letztlich ist jeder Autor anders.

Nun sitzen zwei Übersetzer am Projekt Neu-Ausgabe. Wie sprechen Sie sich ab, und wie eng arbeiten sie zusammen?

GJ: Sowohl bei den neuen Romanen als auch bei den Neuübersetzungen müssen wir uns vor allem mit der Terminologie absprechen. Übernehmen wir die bereits eingeführten Namen und Begriffe oder nicht (nach Möglichkeit ja, bei manchem besteht jetzt aber, gerade durch die Neuübersetzung, die Chance, unglückliche Übersetzungen von damals besser zu machen: ich meine, wer war denn mit »Schneevater« als Übersetzung für »Hogfather« glücklich?). Wenn hier und da bestehende Begriffe verändert werden, aber auch bei der Einführung neuer Begriffe, darf es natürlich nicht noch untereinander Kuddelmuddel geben. Deshalb führe ich nicht nur mit meiner Kollegin, sondern auch mit dem Lektorat ein gemeinsames Wörterbuch, außerdem benachrichtigen wir uns gegenseitig sofort, wenn in dieser Hinsicht etwas entschieden werden soll. So gab es z. B. mal die Überlegung, ob man ›Tod‹ seinen Artikel zurückgeben sollte, also ›der Tod‹. Wir haben uns dann aber – obwohl es dafür im Englischen keinen Grund gab – doch dagegen entschieden.

Ist die Gefahr der Inkonsistenz bei zwei Übersetzern groß?

GJ: Sie ist natürlich da. Aber nicht groß, weil: siehe oben.

Ich mag's trotz anderer Gewohnheit ja und finde es auch sinnig. Doch nun haben wir eben doch alle formalen Anreden auf der Scheibenwelt, und so bleibt die wohl wichtigste Frage: Warum siezen sich Ihre Zauberer, Herr Jung?

GJ: Klare Frage, klare Antwort: Weil sie sich im Englischen auch siezen. Natürlich steht im Englischen überall ›you‹, aber das ist doch bei jedem englischsprachigen Roman so. Als Übersetzer muss man herausfinden und dann entscheiden, wer wen wie anredet. Das ergibt sich meistens aus der weiterführenden Anrede (Sir, Dave, Mr. Smith, Your Highness) und dem sozialen Verhältnis, in dem die Dialogpartner zueinander stehen. So sehr einige Fans das kuschelige Duzen auf der Scheibenwelt lieben gelernt haben, so sehr hat es mich befremdet – und nicht wenige altgediente Fans stoßen sich immer noch daran, da gibt es durchaus verschiedene Lager. Jedenfalls finde ich Formulierungen wie ›Du, Euer Hoheit‹ oder ›Du, Herr‹ ziemlich ungeschickt, und auch in anderen Sprachen gibt es meines Wissens und völlig nachvollziehbar unterschiedliche Anredeformen. Ich habe mir diesen krassen Eingriff natürlich trotzdem nicht leicht gemacht und hatte erst nach Diskussionen und Rückversicherungen beim Verlag und in Fankreisen das Gefühl, dass sie die richtige ist. Zumal von Verlagsseite zu jenem Zeitpunkt beschlossen wurde, dass die alten Bücher tatsächlich neu übersetzt werden sollen und auf diese Weise mit der Zeit dann doch wieder eine einheitliche Sprachregelung auf der Scheibenwelt einkehrt.

Können Sie Pratchett jetzt, da er für Sie Arbeit ist, noch so genießen wie früher?

GJ: Aber ja. Es macht schließlich eindeutig mehr Spaß, einen vielseitigen, hintergründigen, anspruchsvollen und humorvollen Autor zu übersetzen als einen drögen Langweiler.

Dieses Interview erschien zuerst 2011 in der phantastisch! #42
Mit freundlicher Genehmigung des Autors © Christian Endres - www.christianendres.de